Reiner Kunze besucht das neu eröffnete Museum "Kohlewelt" in Oelsnitz

Aufgewachsen als Sohn eines Bergarbeiters ist Reiner Kunze seit seiner Kinderheit mit der Arbeitswelt des Steinkohleabbaus im Erzgebirge vertraut. Als Kind begleitete er seinen Vater mehrfach unter Tage. Selten nur habe sein Vater das Tageslicht gesehen, oft sei er erst nach Einbruch der Dämmerung aus dem Bergwerk Heim gekommen. So erinnerte sich Kunze, als er bereits im August 2024 erste Einblicke in die neue Ausstellung der "Kohlewelt" in Oelsnitz erhielt. Damals war die neue Dauerausstellung des Museums Steinkohlenbergbau Sachsen noch nicht eröffnet. Kunze war aus Anlass der in der Stadthalle Oelsnitz gezeigten Wanderausstellung "Ich habe die tschechische Sprache geheiratet." Reiner und Elisabeth Kunze in seine alte Heimatstadt gereist. Gemeinsam mit Mitgliedern der Kunze Stiftung konnte er dank der kundigen Erläuterungen von Jan Färber (Museumsleiter) und Deborah Weise schon hinter die Kulissen des Ausstellungsaufbaus schauen.
Nun, am 26. September 2025, besuchte Reiner Kunze die fertige Ausstellung und zeigte sich beeindruckt von der abwechslungsreichen und interessanten Schau. Er wurde begleitet von Renate Braun, Vorstandsvorsitzende der Kunze Stiftung, ihrem Mann Gernot Possmann sowie von Prof. Dr. Young-Ae Chon, seiner langjährigen Übersetzerin ins Koreanische. Anlass seines erneuten Besuchs der Stadt Oelsnitz war die feierliche Übergabe des Reiner-Kunze-Preises 2025 an den Schriftsteller Marko Martin.
Der Sammlungsleiter Heino Neuber machte in seiner Führung die aktuelle Museumswelt begreifbar und erzählte mit so viel Herzblut eines Menschen, dessen Vorfahren ebenfalls dieser Kohlewelt immer wieder entstiegen sind.
Im Ausstellungsraum "Brausebad und Kettenrasseln" steht eine Silhouettenfigurine von Reiner Kunze, dem weltweit rezipierten Dichter und Ehrenbürger von Oelsnitz. Beim Betreten dieser "Waschkaue" erklingt folgendes Gedicht von Reiner Kunze, das er 2006 über seine Kindheitserinnerungen unter Tage geschrieben hat:
VOR DER VORSTELLUNG
London, National Opera
Allein
mit unzähligen ketten,
stand ich, ein zu früh gekommener,
in der souterraingerderobe
Ratlos
Dann
entsann ich mich
Vor der schicht
schloss der hauer in der kleiderkaue
seine kette von der wand,
ließ von der hohen decke
untertagehemd und -hose,
schuhwerk und den helm
herab, um nackt
in die mehrmals durchgeschwitzte
schwarze haut zu steigen
Die straßenkleider hingen
an der decke
wie gehängte
Ich sicherte den mantel
mit der kette meines platzes
und zog den schlüssel ab
wie einer, der sich
auskennt
(Reiner Kunze: gedichte. Erweiterte Neuausgabe, Frankfurt a. M. 2023, S. 346. Erstmals veröffentlicht in: Reiner Kunze, lindennacht. gedichte, Frankfurt a. M. 2007.)
Der Ausstellungsbesuch und die Konfrontation mit dem eigenen Selbst waren für Reiner Kunze bewegend. Wir danken dem Team der Kohlewelt sehr für die herzliche Aufnahme und die persönliche Führung durch die neue Ausstellung.

